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Nanga-Parbat-Expedition 2004

Nanga Parbat Rupal Face

01.07.2004     Der ausführliche Gipfelbericht (Teil 2 - Good bye Günter)

Markus ist ein Stück voraus, um das Rucksackdepot zu suchen. Er kann es aber zunächst nicht finden, da sie noch zu weit oben sind. 0.30 Uhr treffen er, Günter und Jörg wieder zusammen und beschließen, wie gehabt zu verfahren, denn alles klappt bestens. Markus geht also wieder voraus und Jörg folgt mit Günter. Gegen 0.45 Uhr plötzlich ein Geräusch in der Dunkelheit: Günter ist ausgeglitten! Jörg stürzt auf ihn zu, will versuchen, ihn zu halten, doch er wird selbst mit umgerissen und rutscht mit. Nach 10 Metern fängt er sich jedoch wieder, doch nicht so Günter, der mit gleichbleibender Geschwindigkeit in die Tiefe rutscht. Markus hört natürlich das Geräusch, dreht sich herum, doch da die Wegspur schräg verläuft, Günter aber in Fallinie rutscht, ist er natürlich viel zu weit weg, um irgend etwas machen zu können. Aus etwa 10 Metern Entfernung muß Markus machtlos zusehen, wie Günter an ihm vorbeigleitet. Zum Glück hat Günter die ideale Bremshaltung, denkt Markus noch bei sich und schreit "Günter, bremsen!!!" Überraschend klar und trotzdem unverständlich kommt die Antwort: "Nein!!!" Dann ist Günter in der Tiefe und Dunkelheit verschwunden. Noch ein gleichmäßiges Rutschgeräusch, dann ist Stille... Sollte Günter etwa versucht haben, den Weg durch kontrolliertes Abrutschen zu verkürzen? Markus brüllt in die Nacht. Zuerst nach unten - nach Günter, dann nach oben - nach Jörg. beide Male keine Antwort. Nichts als Stille! Erneuter Versuch - diesmal antwortet Jörg, zunächst schwach und etwas verstört, dann deutlicher: "Bist Du verletzt?" "Nein, geht schon. Aber hast Du den Günter noch erwischt?" "Leider nicht, war zu weit weg. Aber komm bitte ganz vorsichtig runter!"... 01.00 Uhr stehen die beiden bestürzt beisammen in der steilen Flanke und funken die Schreckensnachricht ins Basislager. Sie vereinbaren, daß Markus, der schneller ist, sofort die Suche aufnimmt. Er übergibt Jörg seine Fototasche, denn jeder Ballast ist nun hinderlich. Jörg soll langsam den Aufstiegsspuren folgend absteigen, während Markus so schnell er kann den Rutschspuren von Günter folgen. will. Für den Notfall nimmt er das Funkgerät mit sich. Etwa zur gleichen Zeit, gegen 1 Uhr, erreicht Christian als erster das Lager 4. 50 Meter davor sammelt er noch Markus Kronthaler auf. Von Jens und Thomas, die schon lange vor ihm abgestiegen sind, hat er jedoch nichts gesehen - sie müssen in der Dunkelheit vom Weg abgekommen sein... 1.30 Uhr funkt Markus mit dem Basislager, wo sich Gerhard Baur meldet. Markus ist über 200 Meter weit den Rutschspuren von Günter gefolgt, bis diese in ein Gelände münden, in dem es Wahnsinn wäre weiterzugehen. Und erst recht allein, im Dunkeln und ohne Seil oder Lampe. Spalten tun sich auf und weitere 200m weiter läßt sich im Mondlicht ein Abbruch erahnen. Ob die Rutschspuren bereits in den Spalten oder erst am Abbruch enden, läßt sich nicht erahnen. Sicher ist jedoch, daß man das normalerweise nicht überleben kann. Verzweiflung macht sich in Markus breit und er funkt die schreckliche Erkenntnis zu Gerhard Baur ins Basislager. Der ermahnt ihn, nur jetzt ja nicht den Kopf zu verlieren - welch weise Voraussicht! Und wie einfach gesagt und schwer getan! Zunächst steigt Markus mühsam wieder hinauf, stets darauf bedacht, seinen eigenen Spuren zu folgen. Zweimal funkt er zwischen 02.00 Uhr und 03.00 Uhr noch mit Gerhard Baur mit der Frage, ob er vom Basecamp aus wieder in die Abstiegsspur Richtung Lager 4 eingewiesen werden kann. Nachts in unbekanntem Gelände ist es verdammt schwierig, sich zu orientieren. Erst recht auf weit über 7000 Meter und nach mehr als 24 Stunden körperlich höchster Anstrengung. Schließlich ist er wieder in der Spur und funkt gegen 3.15 Uhr erleichtert ins Basislager. Von dort aus sagt man ihm, daß es nur noch eine halbe Stunde bis zur Morgendämmerung sei. Nach einigen Versuchen ist auch der Rufkontakt zu Jörg wieder hergestellt und nachdem sie sich 3.30 Uhr in der steilen Flanke getroffen haben, harren sie gemeinsam dem Morgenlicht entgegen, um dann gemeinsam den Abstieg zu beginnen. Irgendwie haben sie sich jedoch reichlich zwei Stunden vorher mißverstanden, denn Jörg hat Markus' Kamera irgendwo weiter oben deponiert, statt sie mitzubringen. Das sei jedoch kein Problem, versichert er - es sei ja nicht weit. Als 3.45 Uhr der erste fahle Schein der Dämmerung Konturen in den Hang zeichnet, sehen die beiden zwei Stirnlampen, die scheinbar aus Lager 4 heraufkommen. Das macht das Finden des richtigen Weges natürlich noch einfacher. Jörg und Markus vereinbaren, daß Jörg schnell noch einmal die paar Meter hochsteigt und den Fotoapparat holt, während Markus schon einmal langsam vorausgehen soll, dem Lager 4 entgegen. Doch es kommt alles ganz anders... Kaum haben sie sich gegen 4 Uhr getrennt, schießen Markus wieder die Gedanken an Günter durch den Kopf: und wenn er doch noch lebt? Schauen kann man ja mal. Immerhin bietet der Weg zurück ins Lager 4 mit zunehmender Tageshelligkeit gute Tiefblicke in die Absturzregion. Während Markus langsam dem Weg folgt, kommt ihm immer wieder das Bild des Absturzes vor die Augen. Immer wieder die gleiche Szene: "Günter, bremsen!!!" - "Nein!!!" Zehnmal, zwanzigmal, hundertmal. Immer wieder. Langsam vermischt sich die Realität mit der Einbildung: Markus hat das feste Gefühl, daß Günter noch lebt, will ihn erneut suchen, auch wenn das ganz offensichtlich viel zu gefährlich ist. Doch die Emotionen sind stärker als der klare Kopf: Markus weicht von der guten Spur ins Lager 4 ab und steigt über steile Hänge tiefer, immer das gleiche Bild vor Augen: Günter, abstürzend. In dem Maße, wie das Gelände steiler und gefährlicher wird, wächst sein Entschluß, doch noch einmal alles zu versuchen, Günter zu finden. Irgendwann ist er völlig dieser Vorstellung verfallen, nimmt kaum noch wahr, was um ihn rum passiert.
Nicht mal als es immer steiler wird und er selbst ins Rutschen gerät, läßt er von seiner Vorstellung. Selbst im Fallen hat er den Eindruck, dies sei nicht er selbst, sondern Günter. Er stürzt und rutscht, kann seinen Sturz selbst bremsen, stürzt dann erneut. Dies wiederholt sich zum großen Entsetzen der Betrachter im Basislager mehrfach. Erst über 300 Meter tiefer kommt er endgültig zum Stillstand. Im Fallen sind jedoch Eispickel, Skistock, Mütze, Jacke, Funkgerät und Handschuhe verlorengegangen. Völlig entkräftet und im Geiste noch immer auf der Suche nach Günter schläft er ein... Zeitgleich sucht Jörg viel weiter oben vergeblich nach dem deponierten Fotoapparat. Er kann sich einfach nicht mehr erinnern, wo er ihn deponiert hat. Im Basislager beobachten sie voller Schrecken mit dem Fernrohr die Entwicklung in der Gipfelflanke. Keiner scheint mehr Herr seiner Sinne zu sein. Jörg steigt immer weiter nach oben, Markus verharrt unbeweglich auf der Stelle. Funkkontakt gibt es keinen... Jens, der zwar als erster umgekehrt ist, daß Lager aber trotzdem noch längst nicht erreicht hat, kämpft ebenfalls mit Erschöpfung und Wahnvorstellungen. Wie er später erzählt, bescheren ihm Halluzinationen Begegnungen mit einer Reihe Fabelwesen, die ihn - zwar auf dem falschen Weg aber dennoch in die richtige Richtung - auf seinem Abstieg begleiten. Schließlich, gegen 9 Uhr Morgens, erreicht Jens die Nähe des rettenden Lagers. Sepp, einer der Österreicher, wird auf ihn aufmerksam. Christian und Sepp gehen Jens entgegen. Er ist völlig erschöpft und froh, als sie ihn auf den letzten Metern zum Zelt begleiten. Christian versorgt ihn mit Essen und Trinken. Thomas, der Österreicher, hat kurz vor Jens sein Zelt im Lager 4 erreicht. Inzwischen hat auch Jörg nun doch mit dem Abstieg begonnen. Gegen 12 Uhr beginnt Christian, Jörg entgegenzugehen. Dieser gelangt nach einem kurzen Verhauer auf der Spur von Jens langsam in die Nähe des Lagers.
Inzwischen ist Markus erwacht und hat erschrocken festgestellt, wo er sich befindet. Schlagartig wird ihm klar, daß Günter nicht mehr zu helfen ist und daß er sich bei dem Versuch dazu selbst zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Nun könnte es auch für ihn recht knapp werden. Schlimmer als die Position 300m unterhalb der Quergangsspur in die Bazhinmulde ist noch der Zustand seiner Ausrüstung: Mütze, Handschuhe, Eispickel, Skistock, Funkgerät und vor allem auch die dicke Daunenjacke sind beim Sturz verlorengegangen. Ein Steigeisen baumelt gerade noch lose am Sicherheitsriemen... Markus hat nun 3 Möglichkeiten: den Versuch eines Quergangs hinüber in Richtung Lager 3 - ohne Eispickel viel zu gefährlich! Den weiteren Abstieg in Richtung Mummery-Rippe - ebenfalls nahezu chancenlos. Und schließlich den Wiederaufstieg etwa 300 Höhenmeter erneut spurend bis zum Weg in die Bazhin-Mulde. - angesichts der Tatsache, daß Markus den zweiten Tag in über 7000m Höhe unterwegs ist und schon einiges an Höhenmetern in den Beinen hat, kaum schaffbar. Trotzdem gibt es für ihn sofort nur eine mögliche Entscheidung: nach oben! Nach kurzer Vorbereitung marschiert er los. Unendlich langsam kommt er vorwärts. Im Basislager erstarrt den Zuschauern am Fernrohr das Blut in den Adern: es geht tatsächlich nach oben! Markus ist sich wohl bewußt, daß er eine zweite Nacht ohne Zelt in dieser Höhe nicht überstehen wird. Schon gar nicht ohne wärmende Mütze, Handschuhe und Daunenjacke. Aber auch die noch hoch am Himmel stehende und wärmende Sonne birgt ihre Gefahren: Schneeblindheit, Austrocknung, Sonnenstich. Eines seiner beiden Unterhemden bindet er sich deshalb um dem Kopf und hält sich streng an einen selbst gewählten Rhythmus: 5 Schritte, 1 Schneeball essen, 5 Schritte, 1 Schneeball...
Inzwischen ist Jörg langsam aber stetig vorangekommen. 17.30 Uhr trifft er mit Christian zusammen und gemeinsam steigen die beiden ab. Unterwegs bekommen die beiden erstmals Rufkontakt zu Markus. Eine Verständigung ist über die große Entfernung zwar nicht möglich, aber immerhin weiß Markus so, daß er gesehen und gehört worden ist und verdoppelt seine Anstrengungen. Er kommt für die Umstände unwahrscheinlich gut voran. Schließlich muß er alles neu spuren, doch er ist optimistisch, es zu schaffen. Eine Stunde vor Sonnenuntergang verdoppelt er die Frequenz der Wasseraufnahme: 2 Schritte, 1 Schneeball, 2 Schritte, 1 Schneeball...
19.45 Uhr erreichen Jörg und Christian das Lager. Damit ist nur noch Markus draußen unterwegs, doch der hat es noch weit... Christian ist zu erschöpft, um sofort wieder loszugehen, Markus entgegen. Er versorgt erst Jörg und Jens im Lager und legt sich dann hin, um sich von den Strapazen zu erholen. Markus sieht indessen mit Bangen den Zeitpunkt des Sonnenuntergangs näherkommen. Nun wird es dunkel und vor allem eisig kalt. Markus weiß genau, daß er ohne Mütze und Handschuhe nicht alles warm halten kann. Schon wenige Minuten nach Sonnenuntergang muß er das Hemd vom Kopf binden und anziehen, um die Körperkerntemperatur zu halten. Er geht so schnell wie irgend möglich, doch es ist noch immer weit. Zunächst versucht er, die kalten Ohren mit den Händen zu wärmen, doch irgendwann geht nur noch eines: warme Ohren oder warme Hände. Hände sind natürlich wichtiger und so wärmt er die eisigen Finger in der Hose und überläßt die Ohren schweren Herzens der eisigen Kälte. Es ist ein Horrortrip, doch ein Ende ist abzusehen. Gegen 1 Uhr Morgens steht Christian im Lager 1 auf und läuft einige Meter bis zu einer kleinen Kante um nach Markus zu schauen. Seine Rufe sind schon recht nahe gekommen. Christian zieht sich an und bittet die Österreicher im Nachbarzelt, Tee zu kochen. 1.15 Uhr geht er Markus entgegen. Der Österreicher Markus verspricht, mit einer Flasche Tee zu folgen, schläft aber dann scheinbar doch wieder ein. Zumindest folgt niemand Christian. 1.40 Uhr, endlich, treffen die beiden Brüder aufeinander. Markus' erste Worte: "Entschuldige, daß ich Dir gestern Deinen Geburtstag versaut habe.". Christian ist erschrocken, als er sieht, wie wenig Markus an hat und gibt ihm wenigstens ein paar Handschuhe. Schnell legen sie die letzten Meter zum Zelt zurück, wo sie ziemlich genau 2 Uhr Nachts ankommen. Die fast 50stündige Odyssee von Markus hat damit ein Ende gefunden. Schnell kriecht der frierende Markus in den wärmenden Schlafsack und erzählt Christian von dem traurigen Absturz Günters und seinen vergeblichen Versuchen, ihn zu retten. Während Christian ihm heißen Tee bereitet, schläft Markus erschöpft mitten im Satz ein...

Christian & Markus Walter
Jens Triebel und Jörg Stingl
Basecamp, 05./06.07.2004

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