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Verein

Khumbu-Himalaya 1999 - Cho Polu 6734m

(vermutlich erste Besteigung)

Grußpostkarte
Expeditionsteam
Günther Jung, Olaf Rieck, Dieter Rülker,Markus Walter
Die Idee
Das Khumbu-Gebiet im nepalesischen Himalaya ist zweifellos eine der bekanntesten Trekking-Gegenden der Welt. Neben den berühmten Achttausendern, von denen der Wanderer im Khumbu gleich vier aus unmittelbarer Nähe betrachten kann, gibt es eine Vielzahl herrlicher Fels- und Eisberge, deren Gipfel zwar unterhalb der magischen 8000m-Marke liegen, die den "ganz Großen" aber an Schönheit und Schwierigkeit in nichts nachstehen.

Folgt man der vielbegangenen Trekkingroute zum Everest-Basislager bis zu der kleinen Ortschaft Dingboche und biegt dann in das östlich gelegene Seitental ein, erblickt man gleich eine ganze Reihe berühmter und schöner Berggestalten. Neben der gigantischen Südwand des Lhotse ziehen hier besonders die berühmte Ama Dablam oder auch der eisüberwallte Baruntse die Blicke auf sich. Geradezu unscheinbar wirkt dagegen die kleine Schneekuppe ganz am Ende des Tales, die dem aufmerksamen Betrachter durch ihre eigenwillige, geometrisch regelmäßige Form auffällt. Selbst unter den Einheimischen kennen nur wenige den Namen dieser ebenmäßigen Pyramide: Cho Polu. Mit seinen 6734m Höhe beileibe kein Zwerg, führt der Cho Polu neben all den Berühmtheiten eher ein Schattendasein.

Dabei zog er bereits in der Frühphase des Himalayabergsteigens die Aufmerksamkeit der Alpinisten auf sich und schon 1954 wurde der erste Besteigungsversuch unternommen. Stolz berichtete der neuseeländische Everest-Bezwinger Sir Edmund Hillary, daß sein Landsmann Norman Hardie im Juni 1954 den Gipfel des Cho Polu erreicht habe. Der dementierte diese Meldung später zwar höchstpersönlich, aber ein inzwischen bereits fertig gedrucktes Buch verbreitete den Irrtum schnell, und so galt der Cho Polu bei den Alpinisten als „abgehakt“. Zu einer Zeit, als es noch unzählige jungfräuliche Gipfel im Himalaya gab, wendete man sich eben lieber neuen Zielen zu.

Erst 10 Jahre später, 1964, besuchte eine japanische Expedition wieder diese Gegend und berichtete unter anderem von der erfolgreichen Besteigung eines etwa 6500m hohen Berges, den die Chronisten vorschnell als den Cho Polu identifizierten. Auf einem Gipfelfoto der Japaner ist allerdings der Cho Polu in der Ferne sehr deutlich zu erkennen, womit klar wäre, daß das Bild nicht von seinem Gipfel selbst stammen konnte. Damit erhielt der Berg bereits seine zweite "imaginäre Besteigung" und das Interesse erlosch für die nächsten 20 Jahre fast vollständig.

Erst 1984 war wieder jemand im Gebiet des Cho Polu unterwegs. Der spanische Bergsteiger Nil Bohigas, soeben von der Erstdurchsteigung einer schwierigen neuen Route in der Annapurna-Südwand zurückgekehrt, unternahm zusammen mit seiner Freundin Montse Soteras eine Durchquerung des Baruntse-Massivs vom Barun-Tal hinüber ins Khumbu. Obwohl Bohigas nicht über entsprechende Genehmigungen verfügte, bestieg er nach eigener Aussage einige der umliegenden Gipfel. Ob der Cho Polu dabei war, ist bisher nicht zweifelsfrei festzustellen.
In der Nachmonsunsaison 1995 erhielt die japanische "Fukuoka Mountaineering Group Expedition 1995" unter Leitung von Kazuyoshi Yamagata von der nepalesischen Regierung eine Besteigungsgenehmigung für den Cho Polu. Nachdem die 10 Teilnehmer das Basislager westlich des Cho Polu am anderen Ufer des Lhotse Shar-Gletschers errichtet hatten, kamen sie jedoch nicht mehr sehr weit: beim Anblick der zu erwartenden Schwierigkeiten gaben sie bereits wenige hundert Meter hinter dem Basislager auf. So war die "Sächsische Khumbu-Expedition 1999" dann die nächste, die sich am Cho Polu versuchte.
Eigentlich hatten wir ja ein Permit für den unmittelbar benachbarten Num Ri beantragt, dessen Westflanke uns bereits vor 2 Jahren auf einem Foto aufgefallen war. Da die nepalesische Regierung uns jedoch trotz zweijährigem Bemühen keine Genehmigung erteilte, entschlossen wir uns einfach für den Nachbarberg - eine Wahl, die wir nicht bereuen sollten...
Die Route
Aufstiegsroute obrer TeilDie von uns letztlich erfolgreich realisierte Aufstiegsroute führt zunächst vom Basislager aus etwa 2 km am Fuße der Island Peak-Ostflanke entlang, überquert dann den Lhotse-Shar-Gletscher in relativ direkter Linie ungefähr auf Höhe des Cho Polu und gewinnt so den Wandfuß der Westflanke unterhalb des Col Hardie. Der Aufstieg ins Col hält sich im wesentlichen an die Couloirs und Rinnen in der vollständig eisbedeckten Flanke und erreicht den Grat knapp 200 Meter nördlich des tiefsten Punktes. Das Col Hardie selbst bietet einen idealen Biwakplatz und wurde zur Errichtung unseres Hochlagers genutzt. Etwa 70 Meter Abseile direkt aus dem Col führt hinunter in das Gletscherbecken eines großen Seitenarmes des Barungletschers, der ohne großen Höhenverlust bis unter die Cho Polu-Nordwand überquert werden kann. Der günstigste Einstieg in die Nordwand fand sich für uns - bedingt durch den ziemlich großen Bergschrund - etwa 150m rechts (westlich) der Gipfelfallinie. Der Aufstieg in der ebenmäßig geneigten Wand erfolgte schräg ansteigend in die Gipfelfallinie kletternd und schließlich direkt in dieser empor bis knapp unter den höchsten Punkt. Eine Querung wenige Höhenmeter unter dem Ausstieg nach rechts (westlich) hinaus auf den Nordgrat vermeidet die Abschlußwächte. Der breiter werdende Nordgrat ist dort nicht mehr überwächtet und führt in wenigen Minuten direkt zum höchsten Punkt des Cho Polu.
Expeditionsverlauf
25.-28.09.1999 Unsere Reise beginnt mit dem anstrengenden Flug von Leipzig nach Kathmandu. In der nepalesischen Hauptstadt angekommen, steht uns neben der Gewöhnung an das angenehm warme Klima, die nepalesischen Essgewohnheiten und das quirlige asiatische Leben eine Menge Arbeit bevor. In knapp 3 Tagen erledigen wir erste wichtige organisatorische Dinge. Während Olaf sich vorrangig um das Akklimatisationstrekking kümmert, verbringt Markus seine Zeit mit Nima im Büro von Multi Adventure, unserer Partneragentur, oder stattet den Ministerien die obligatorischen Besuche ab.

29.09.-09.10.1999 Ein knapp zweiwöchiges Trekking bringt uns von Jiri, dem Ende der ausgebauten Straße, nach Lukla, einem kleinem Dorf mitten im Herzen des Himalaya. Leider regnet es fast die gesamte Zeit, so daß wir von den Bergen nicht all zu viel sehen können. Trotzdem ist die Trekkingtour sehr schön, denn wir lernen viel über das Leben der einheimischen Träger. Da Olaf und Markus die Träger bei ihrer Arbeit filmen möchten, haben wir uns einer Gruppe von ihnen angeschlossen. So sind wir zwar etwas langsamer, aber für unsere Akklimatisation wirkt sich das eher positiv aus.
Von Lukla aus, wo einer der abenteuerlichsten Hochgebirgslandeplätze der Welt existiert, geht es mit einem kleinen Flugzeug zurück nach Kathmandu, um die restlichen organisatorischen Arbeiten zu erledigen.

10.10.-12.10.1999 3 Tage stehen nochmals für Besuche bei den Ministerien, das Besorgen von Genehmigungen und die Verhandlungen mit unserem Verbindungsoffizier zur Verfügung. Nebenbei werden letzte Einkäufe getätigt, ehe es dann endgültig losgehen soll.

13.-16.10.1999 Nach Erledigung der letzten amtlichen Formalitäten startet unsere eigentliche Expedition mit dem Flug nach Lukla. Nach der ganzen Bürokratie in Kathmandu wird es Zeit, daß wir endlich richtig durchstarten können... Von Lukla aus geht es in einer zweitägigen Trekkingtour nach Namche Bazar, dem kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum des Sherpavolkes. Ein Rasttag wird zu einigen Einkäufen auf dem wöchentlichen Basar genutzt, zu dem jeden Samstag hunderte von Sherpas, Tibetern und anderen Gebirgsbewohnern zusammenströmen, um ihre Waren und Produkte auszutauschen und zu verkaufen.

17.-20.10.1999 Nachdem wir letzte Einkäufe getätigt haben und eine ausreichend große Yakkarawane zum Transport unserer Lasten angeheuert ist, setzen wir unseren Anmarsch in Richtung Basislager fort. Zunächst gibt es jedoch Probleme mit den Yaktreibern und so kommt unser Gepäck erst am späten Nachmittag von Namche los. Dadurch gerät der Zeitplan etwas durcheinander, aber am darauffolgenden Tag holen wir alles wieder auf und und erreichen Dingboche, das letzte größere Dorf auf unserer Route.
Noch am selben Abend beginnt es zu schneien, und die folgende Schlechtwetterperiode mit über 50 Stunden ununterbrochenem Schneefall läßt einen Weitermarsch mit den schwer beladenen Yaks unmöglich werden. Dadurch sind wir gezwungen, 2 Tage untätig in Dingboche abzuwarten, bis das Wetter sich bessert. Zahlreiche von weiter oben vor den Schneemassen flüchtende Trekkingtouristen lassen die Lodges überquellen und den Aufenthalt auch nicht gerade angenehm werden.

21.-22.10.1999 Endlich klart das Wetter wieder auf und wir erreichen nach wenigen Stunden Marsch durch die tiefverschneite Gebirgslandschaft Chhukhung, eine Ansammlung von Häusern unmittelbar vor dem riesigen Imja-Gletscher.
Von hier aus führt kein ausgetretener Weg mehr weiter aufwärts, und so verbringen wir 2 arbeitsreiche Tage damit, mit Schaufeln bewaffnet einen einigermaßen gangbaren Pfad für den weiteren Transport der Ausrüstung ins Basislager freizulegen - eine wahre Sysyphusarbeit im metertiefen Neuschnee der vergangenen Tage, denn die verbleibende Strecke beträgt noch reichlich 10 Kilometer…

23.-27.10.1999 Nun entscheidet sich, ob die Arbeit der vergangenen Tage sich gelohnt hat: die schwer beladenen Yaks sollen das Expeditionsgepäck bis ins Basislager bringen. Trotz unserer Bemühungen kommen die Yaks am 23. Oktober zunächst nicht weiter, als bis zu einer Steinhütte in der Nähe des Island Peak-Basecamps, immer noch etwa 4 Kilometer von unserem geplanten Basislagerstandort entfernt.
Am nächsten Tag schaufeln wir noch einmal wie die Verrückten, während die Yaks den Rest unserer Lasten aus Chhukhung holen. Leider ist alle Anstrengung vergebens, denn die schweren Tiere brechen mit Ihren Hufen tief durch die Schneedecke, während wir Menschen auf dem verdichteten Schnee der mühsam angelegten Spur relativ problemlos gehen können. Angesichts der nun auf dem eigenen Rücken zu transportierenden Gepäckmengen fällt uns der Entschluß, unser endgültiges Basislager 2 km vor dem geplanten Standort zu errichten, ziemlich leicht.
Noch am selben Tag übernachten wir das erste Mal in unserem neuen Basecamp, das uns die nächsten Wochen zur zweiten Heimat werden soll. Trotzdem dauerte es noch 3 weitere Tage, ehe wir zu viert und mit Hilfe unseres Kochs Rinji Pasang Sherpa und des Küchenjungen Ram Kumar Gurung alles an Ort und Stelle haben und uns häuslich einrichten.

28.10.1999 Am 28. Oktober - durch die Schneemengen eine ganze Woche später, als erhofft - unternehmen wir unsere erste Erkundungstour in Richtung Cho Polu. Der 6734m hohe Berg, für dessen Besteigung wir eine Genehmigung des nepalesischen Tourismusministeriums erhalten haben, thront, durch den kilometerbreiten, wildzerrissenen Lhotse-Shar-Gletscher von uns getrennt, reichlich anderthalb vertikale Kilometer über unserem Basecamp und sieht, frisch von einer meterhohen Schneedecke eingehüllt, auf den ersten Blick unnahbar aus.
Unser Hauptproblem besteht zunächst darin, die steilen Moränenabbrüche aus jederzeit absturzbereiten Steinen hinunterzukommen, um den Gletscher überqueren zu können. Mit Hilfe eines Abseilseils, welches wir an einer günstigen Stelle fest installieren, erreichen wir den Gletscher und deponieren die mitgebrachte Ausrüstung. Das Spuren im oft mehr als knietiefen Schnee dauert, und so bleibt uns für heute nichts weiter übrig, als ins Basislager zurückzukehren.

29.10.1999Bereits am zeitigen Morgen stapfen wir durch den Tiefschnee entlang unserer Spuren von gestern die Moräne hinauf. Schnell ist das Depot auf dem Gletscher erreicht. Von nun an heißt es wieder Spuren...
Der günstigste Weg ist zunächst gut vorgegeben, doch je näher wir der Gletschermitte kommen, um so tiefer wird der Schnee und zerklüfteter der Gletscher. Zuletzt wühlen wir uns am jenseitigen Ufer steile Blockhänge hinauf, immer wieder in einer stiebenden weißen Wolke im grundlosen Pulver zurückrutschend. Die Sonne steht schon hoch am strahlend blauen Himmel, und da wir heute noch zurück bis ins Basislager wollen, schauen wir uns nach einem geeigneten Depot- oder Lagerplatz um.
Ein riesiger Felsblock etwa 300 Meter vom Wandfuß der Cho Polu-Westwand entfernt, bietet sich als Depot an. Geschützt von einem großen Überhang liegt unsere Ausrüstung dort so, daß wir sie auch nach Neuschneefällen noch wiederfinden würden. Dieses Materialdepot soll den Ausgangspunkt für unseren späteren Gipfelversuch im Alpinstil bilden, doch nach der tagelangen Schinderei im tiefen Schnee sind vorerst einmal 2 Ruhetage fällig.

30.-31.10.1999Die beiden Ruhetage nutzen wir zum Ausbau unseres Basislagers. Die Sonne hat den Schnee hier unten inzwischen so weit verfestigt, daß er sich zumindest vernünftig wegschaufeln läßt. Das wichtigste während dieser zwei Tage ist jedoch die Erholung für kommende Anstrengungen. Unser Koch Rinji verwöhnt uns reichlich mit ausgezeichnetem Essen, und auch das Wetter bleibt vorerst so stabil, wie wir es uns von dieser Jahreszeit erhofft haben. So schmieden wir gutgelaunt Pläne für das weitere Vorgehen.
Unser ursprünglicher Plan sieht vor, zunächst einen Aufstieg in das 6183m hohe Col Hardie, welches den Cho Polu im Norden von dem himmelsstürmenden Lhotse-Massiv abgrenzt, zu versuchen, um von dort über den Nordgrat zum Gipfel zu gelangen.
Bei einem Versuch in der riesigen Westwand hätten wir dann bereits einen gespurten Abstiegsweg und im Col Hardie 2 Zelte zur Rückendeckung stehen. Bevor wir die Westflanke jedoch überhaupt in Angriff nehmen können, muß ohnehin noch einige Zeit vergehen, damit sich der grundlose Schnee verfestigt...

01.11.1999 Am 1. November verlassen wir das Basislager in Richtung Cho Polu. Im Gepäck Verpflegung und Brennstoff für 5 Tage sowie eine umfangreiche Eiskletterausrüstung, hoffen wir, für einen Gipfelversuch im Alpinstil ausreichend gerüstet zu sein. Zunächst erreichen wir unser Depot am Wandfuß der Westflanke und verlegen es eine weitere Gehstunde nördlich direkt an den Auslauf des vom Col Hardie herunterziehenden Eisabbruches. Dort schlagen wir am späten Nachmittag auch unsere Zelte auf.

Guenter sichert den Aufstieg 02.11.1999 Nach einer eiskalten Biwaknacht (-23 Grad im Zelteingang) beginnen wir um 4 Uhr mit dem Schneeschmelzen und Kochen und brechen anschliessend unser Lager ab. Der Aufstieg durch die von Seracs durchsetzte Eisflanke auf der Westseite des Col Hardie ist technisch nicht übermäßig kompliziert, jedoch verlangt die steile Eiskletterei durch teilweise blankgefegte Couloirs aus sprödem Eis mit den schweren Rucksäcken volle Konzentration.
Neben der Kletterei und Wegsuche müssen wir ja gleichzeitig die komplette Hochlagerausrüstung und Verpflegung für mehrere Tage hinaufschleppen.
In den steilen Eispassagen kommen wir trotz Seilsicherung in Viererseilschaft zügig voran, doch immer wieder zwischengelagerte flachere Schneehänge machen uns mit anstrengender Spurarbeit schwer zu schaffen. Mit 25-kg-Rucksäcken zieht man auf 6000m eben nur noch höchst mühsam eine hüfttiefe Furche durch den Schnee…
So wird klar, daß wir das Col an diesem Tag nicht mehr erreichen werden, und so suchen und finden wir inmitten der Serac-Abbrüche einen vor Eisschlag geschützten Biwakpklatz auf einer kleinen Schneekanzel.
Das Wetter sieht stabil aus, und so bereiten wir am Abend bereits alles für den weiteren Aufstieg vor, versichern sogar gleich noch eine Seillänge über eine tückische Spalte, damit es morgen schneller geht.

03.11.1999Obwohl die große Kälte alle Aktivitäten lähmt, beeilen wir uns, von unserem Biwakplatz fortzukommen, ehe die Sonne die wächtengesäumte Gratkante über uns erreicht. Auch wenn wir mit frischen Kräften sehr zügig unterwegs sind, brauchen wir noch einmal 3 Stunden bis zum Grat, den wir etwa 100 Meter nördlich des tiefsten Punktes vom Col Hardie erreichen. Eine luftige Querung führt uns von hier am Grat entlang direkt in den Sattel (6183m).
Der hier ständig wehende starke Wind hat die Scharte mit gigantischen Wächten und großen Schneeverwehungen verziert, so daß sich in der tiefsten Senke ein von allen Seiten windgeschützter Zeltplatz anbietet, wie er besser nicht sein könnte.
Auch später, als die Stürme mit infernaler Gewalt durch das Col Hardie peitschen, erweist sich diese Stelle als der ideale Biwakplatz. Das Aufstellen der Zelte ist allerdings schon bei "normalem" Wind eine echte Herausforderung, und alle vier müssen voll mit zupacken, damit die dünnen Nylonhüllen nicht weggerissen werden.
Als das Lager steht, beschäftigen wir uns intensiver mit dem Weiterweg, der alles andere als einladend aussieht. Der Nordgrat des Cho Polu, der von unserem Basislager aus recht flach und eher unkompliziert aussah, entpuppt sich als gefährlich überwächtete schmale Schneide, durchsetzt mit Felsstufen, deren lockere Neuschneeauflage ein Vorwärtskommen sehr erschweren würde.
Bei den herrschenden Schneebedingungen wäre ein seilfreies oder als Seilschaft gesichertes Klettern auf den labilen Schneegebilden über den schwindelerregenden Abbrüchen der Westflanke ein unkalkulierbares Roulettespiel, und so entschließen wir uns schweren Herzens, den Versuch eines Gipfelsturmes im Alpinstil aufzugeben und den Grat zumindest teilweise mit Fixseilsicherungen zu versehen.
Bereits morgen wollen wir damit beginnen, doch zunächst vertreibt uns der stärker werdende Wind in die winzigen Zelte.

04.-05.11.1999 Die ganze Nacht über rüttelt der Sturm an den Zelten, so daß wir kaum die Augen zukriegen. Immer wieder lassen uns orkanartige Böen um unsere kleinen Nylonbehausungen fürchten, doch die Zelte, die wir aus der Nullserie eines deutschen Herstellers als Testmodelle mitgenommen haben, bewähren sich ausgezeichnet. Da jedoch der Wind auch am Morgen nicht abflaut, bleibt uns zunächst nichts anderes übrig, als diesen Sturmtag in den Zelten auszusitzen. Wir nutzen die Zeit, um stundenweise draußen an denVerankerungen zu arbeiten und mannshohe Schneemauern als Windschutz zu errichten.
Teilweise ist der Wind so stark, daß man, kaum wagt man sich einige Schritte außerhalb der kleinen Schneeschüssel des Cols, um einen Blick auf den Grat zu werfen, regelrecht umgeworfen wird, und nur "auf allen Vieren" wieder die schützenden Zelte erreichen kann. Unter solchen Bedingungen ist die Fortsetzung der Kletterei am Grat völlig undenkbar, und da auch unsere Nahrungs- und Brennstoffvorräte nach dieser Zwangspause zur Neige gehen, beschließen wir, am 5. November zunächst wieder ins Basislager abzusteigen.
Die Zelte mitsamt der meisten Ausrüstung lassen wir im Col Hardie stehen, und so gelangen wir - mit den leichten Rucksäcken fast alles seilfrei kletternd - an einem Tag bis ins Basislager. Dort werden wir bereits erwartet, denn unser Verbindungsoffizier ist aus Kathmandu hierher gekommen, um wenigstens ein Beweisfoto von sich und dem Berg zu schießen, ehe er schon am nächsten Tag schnellstmöglich den Heimweg antritt.
Den Vorschriften der nepalesischen Regierung entsprechend soll er uns eigentlich während der gesamten Expedition begleiten, doch das ist dem sichtlich bis an die Grenzen seiner Leidensfähigkeit geforderten Beamten zu anstrengend. Außerdem bekommt er den für hiesige Verhältnisse geradezu unanständig hohen Lohn ja trotzdem ausgezahlt. Wieso also im Basislager sitzen und frieren...?
Immerhin schafft er es, uns auch in den wenigen Tagen seines Aufenthaltes ernste Schwierigkeiten zu bereiten. Ein Schriftstück des nepalesischen Tourismusministeriums - so seine Logik - definiere die Nachmonsunsaison als Ende September beginnend und bis Mitte November andauernd. Da Mitte November nun aber seiner Meinung nach genau der 15. sei, würde unser Permit, welches für die gesamte Saison gilt, exakt an diesem Tag auslaufen. Uns verbleibt also nicht mehr viel Zeit für einen weiteren Gipfelversuch, und für einen zweiten Anlauf in der Westwand wird es in keinem Fall reichen.
Eine erneute Ruhepause soll uns deshalb ausreichend stärken, ehe wir den alles entscheidenden Versuch starten wollen.

06.-08.11.1999Während der 3 Ruhetage bleibt das Wetter noch immer stabil, doch mit dem Fernglas können wir vom sicheren Basislager aus täglich riesige Schneefahnen im Col Hardie beobachten. Wir machen uns ernsthaft Sorgen um unsere Zelte, doch von hier aus können wir ohnehin nichts unternehmen...
Die Zeit im Basislager nutzen wir unter anderem, um die vielen hundert Grußpostkarten zu unterschreiben, die wir den Sponsoren und Interessenten versprochen haben. Zu diesem Anlaß ist es sogar einmal für wenige Stunden windstill, so das wir gemütlich draußen vor den Zelten sitzen können.
Was das weitere Vorgehen an unserem Berg betrifft, sind wir ziemlich unschlüssig. Die herrschenden Schneeverhältnisse lassen einen Einstieg in die anderthalb Kilometer hohe Cho Polu-Westwand nicht ratsam erscheinen. Am benachbarten Num Ri beobachteten wir ein riesiges Schneebrett, welches sich aus der ebenso nach Westen ausgerichteten Flanke plötzlich löst und - große Teile einer von uns als möglich erachteten Aufstiegsroute überspülend - donnernd zu Tale rauscht. Auch in der Westflanke unterhalb des Col Hardie ist die Schneebrettgefahr sicher nicht unerheblich, doch unsere Route scheint uns relativ gering gefährdet, da sie zum grössten Teil durch bereits blankgefegte Rinnen führt.
Die geplante Route in der Westwand des Cho Polu kommt also bei derartigen Verhältnissen nicht mehr so richtig in Betracht, denn besondere Lust auf einen waghalsigen Aufstieg à la Russisches Roulette verspürt keiner von uns.
Auch der ursprünglich als Abstiegsroute ins Auge gefaßte Nordgrat ist bei den derzeitigen Bedingungen eine eher zweifelhafte Alternative, womit sich die Frage aufdrängt, ob der Gipfel in dieser Saison und von dieser Seite aus überhaupt noch möglich ist. Der entscheidende Tip in dieser Situation kommt aus einem kleinen Goethe-Gedichtband, der eigentlich nur dazu gedacht ist, während der Ruhetage im Basislager für Zerstreuung zu sorgen: "Mit Sturm ist da nichts einzunehmen, wir müssen uns zur List bequemen." - eine Erkenntnis, die uns statt riskanten Drauflosstürzens in der lawinenschwangeren Westwand nach trickreichen Alternativen suchen läßt.
Eine solche bietet sich vielleicht in der auf der anderen Seite des Kammes steil abfallenden Nordwand an. Diese, eine etwa 700 Meter hohe, konkave Eisflanke, die aus einem nordwestlichen Seitenkessel des Barungletschers gen Gipfel zieht, könnte - so unser Kalkül - günstigere Verhältnisse aufweisen. Während die tiefstehende Novembersonne täglich ab 11 Uhr reichlich 6 Stunden lang in die Westflanke scheint und dort gefährliche Schneebretter geschaffen hat, ist in die eisige Nordflanke seit Wochen kein Sonnenstrahl mehr gedrungen. Die Verhältnisse müssten dort also anders sein - ob besser, das würde sich nur durch Probieren herausfinden lassen...

Unsere Zelte im Col Hardie09.-10.11.1999Als wir mit frischen Kräften am 9. November das Basislager verlassen, sind die Rucksäcke wieder einmal recht schwer, denn da keiner weiß, wie lange es dauern wird, überhaupt erst einmal an den Fuß der Nordwand des Cho Polu zu gelangen, haben wir Brennstoff und Lebensmittel für eine ganze Woche eingepackt. Diesmal wollen wir auf jeden Fall ausreichend Reserven haben, um auch eine längere Belagerung durchstehen zu können, denn für einen weiteren Versuch reicht die Zeit auf keinen Fall.
Schnell erreichen wir in unseren noch gut erhaltenen Spuren das Depot am Wandfuß der Westwand, in dem noch einige Kleinigkeiten liegen. Eine Wegstunde weiter schlagen wir an dem bereits vom letzten Mal her bekannten Biwakplatz unsere Zelte auf. Ein zeitiger Start am nächsten Morgen sichert uns genügend Vorsprung vor der Sonne, um den größten Teil des Aufstieges im Schatten zurücklegen zu können. Wir klettern diesmal fast die gesamte Strecke seilfrei und erreichen bereits am zeitigen Nachmittag das Col Hardie. Obwohl wir teilweise neu spuren müssen, sind wir viel schneller als beim ersten Mal, da die aufwendige Wegsuche wegfällt.
Hoch erfreut registrieren wir, daß unsere Zelte die stürmischen Tage hier oben gut überstanden haben. Nur die Schneemauern sind vom Wind fast vollständig abgetragen worden, so daß wir uns erneut daran machen müssen, mannshohe Schutzwälle zu errichten.
Bevor es dunkel wird, gehen wir noch einige Schritte in Richtung Nordgrat, doch die Schneebedingungen am Grat sind noch immer unkalkulierbar und so bleibt es dabei, daß wir alle Kräfte auf einen Versuch in der Nordwand konzentrieren wollen. Diese sieht durch’s Teleobjektiv gar nicht mal so schlecht aus, und da hier oben am exponierten Grat der Wind schon wieder fast in Orkanstärke weht, hoffen wir auch ein bißchen auf den Windschutz der konkaven Wand.

11.11.1999Knatternde Zeltplanen und stiebender Raureif sorgen einmal mehr für eine recht unangenehme Nacht, und so lassen wir uns am Morgen Zeit, bis die wärmende Sonne hervorkommt. Geplant ist zunächst sowieso nur ein Erkundungsvorstoß bis zum Wandfuß. Sollten sich die Verhältnisse dort als halbwegs passabel erweisen, ist für morgen der Gipfelgang geplant. 70 Meter Abseilfahrt über brüchige, schneebedeckte Felsen bringen uns auf den Boden des Gletscherbeckens östlich vom Col Hardie. Glücklicherweise haben wir in letzter Minute noch ein paar Felshaken eingesteckt, die uns nun die Fixierung des Abseilseils ermöglichen. Unten auf dem Gletscher versinken wir zunächst tief im lockeren Pulverschnee, doch je weiter wir auf das Plateau hinausgehen, desto besser werden die Verhältnisse.
An manchen Stelle hat der Sturm die Schneeoberfläche so gut zusammengepreßt, daß wir problemlos oben entlanglaufen können, während wir an anderen Stellen knie- oder gar hüfttief einbrechen. Nach reichlich einer Stunde Spurarbeit haben wir das kleine Gletscherbecken schließlich durchquert und stehen am Wandfuß der Nordwand. Mit etwas Glück finden wir auf Anhieb einen relativ einfachen Übergang über den breiten Bergschrund und steigen dann einige Meter die Wand hinauf.
Groß ist die Freude, als sich herausstellt, daß die Wand exzellente Firnverhältnisse aufweist. Steil genug, daß der größte Teil des gefallenen Neuschnees nicht in der Wand verblieben ist, hat die eisige Kälte den Rest zu solidem Firn zusammengebacken, der uns einen schnellen Aufstieg verspricht.
Wir fixieren 2 unserer Seile oberhalb des Bergschrundes und lassen Eisschrauben, Karabiner, Eisbeile und all die anderen Dinge zurück, die wir am Gipfeltag von hier an benötigen werden. Dann machen wir uns auf den Rückweg zum Lager, das wir schon 3 Stunden später erreichen. Günter und Dieter nutzen das fixierte Abseilseil, um an ihm zu den Zelten hinaufzuhangeln, während Olaf und Markus hundert Meter weiter nördlich ein Couloir hinaufstiegen, welches zuletzt mit einem spektakulären Wächtendurchbruch auf den Grat hinauf führt.
Den ganzen Abend verbringen wir mit den Vorbereitungen für den Gipfelaufstieg und kochen literweise Tee für die Thermosflaschen. Schließlich wollen wir morgen früh schnell sein und bereits im ersten Dämmerlicht in die Wand einsteigen...

Wie es weitergeht, lesen Sie im Teil 2, nur einen Mausklick entfernt.

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